Märchensammlung 5s







Der einsame Drache

Es war einmal ein großer Drache, über dessen schwarze Schuppenpracht sich ein wunderschöner goldener Glanz zog. Er wohnte alleine in einer riesigen, verlassenen Fabrik.

Er war- soviel er wusste- der letzte Drache auf der Welt. Doch er war sehr einsam und hätte gern Gesellschaft gehabt. Er wusste allerdings, dass er auf keinen Fall von einem Menschen gesehen werden durfte. Jeder würde sofort denken, er wolle sie angreifen, und er würde entweder hinter Gittern landen, oder wäre gleich getötet worden. Er war noch sehr jung und konnte sich aufgrund dessen nicht sehr gut verteidigen, geschweige denn Feuer speien.

Eines Tages war er in der Fabrik und schlief. Er wurde von einem lauten Krachen geweckt, auf welches Stimmen folgten. Er konnte die Stimmen der Menschen verstehen, genauso gut wie er auch ihre Sprache beherrschte. Er hörte wie ein Mann darüber sprach, wie viel das Grundstück mit der Fabrik kosten würde. Er war entsetzt, als er hörte, dass der Mann das Grundstück verkaufen wollte. Plötzlich rief ein Mann aus: ,,So billig? Das werde ich nehmen!

 Sie haben ja meine Kontonummer, heben Sie sich das Geld ab. Ich werde mich hier noch ein bisschen umschauen, und überlegen wie meine neue Motorradfabrik aussehen wird.’’

Der Drache hörte, wie die Tür quietschend aufging, und krachend wieder ins Schloss fiel.

Er wusste gar nicht, dass die Fabrik jemandem gehörte. Was sollte er machen? Wo sollte er hin? Er konnte doch nicht einfach von hier verschwinden. Dafür war es hier viel zu schön. Aber was konnte er dagegen tun? Nichts. Oder etwa doch? Nein. Absolut nichts.

Er wollte sich gerade auf den Weg machen, als plötzlich ein Mann vor ihm auftauchte. Es war nicht nur irgendein Mann, sondern es war der Mann, der eben die Fabrik gekauft hatte. Er stieß ein leises ,Hilfe’ aus. Anschließend schrie er: ,,Ein Drache! Hilfe!’’ ,,Bitte seien Sie leise.’’, bat der Drache. Mit zitternder Stimme fragte der Mann: ,,Du kannst sprechen?’’

,,Ja, natürlich’’, sagte der Drache mit tiefer Stimme, ,,genauso wie du, wie ihr alle, also dürfte das kein größeres Problem darstellen!’’ ,,Hilfe’’, schrie der Mann, ,,ein sprechender Drache!’’ ,,Was für ein Experte…’’, murmelte der Drache. Der Mann wiederholte seinen lauten, ohrenbetäubenden Hilfeschrei noch einige Male, bis es dem Drachen zu bunt wurde.

 ,,Jetzt seien sie endlich still!!!’’, brüllte der Drache so laut, dass der Mann vor Schreck hinfiel, und auf dem Boden kauerte. ,,Entschuldigung’’, sagte der Drache mit leiser Stimme, ,,das musste jetzt mal sein.’’

 

Plötzlich stand der Mann auf, klopfte sich den Dreck von der Hose und sagte ,Ist schon gut’ so als wäre nichts passiert. Vernünftig fragte er: ,,Was machst du hier?’’

 ,,Ich lebe hier’’, antwortete der Drache, ,,Ich bin vermutlich der letzte Drache auf der Welt.’’

,,Der letzte!’’, staunte der Mann, ,,dann bist du also etwas ganz Besonderes.’’ ,,Ich fände es schrecklich, von hier weggehen zu müssen.’’, sagte der Drache niedergeschlagen und ohne Hoffnung. ,,Musst du gar nicht’’, sagte der Mann nachdenklich, ,,du möchtest also hier bleiben.

Und ich wollte meine Finanzen ein wenig aufbessern, da ich im Moment sehr knapp bei Kasse bin. Wie wär’s, wenn ich dir ein Angebot mache?’’

Der Drache hörte gespannt zu und nickte nur kurz. Der Mann fuhr fort: ,,Ich würde dir aus dieser alten Fabrik eine wunderschöne Drachenhöhle bauen lassen, welche jeder Mensch für ein kleines Einkommen betreten könnte. Du bekommst natürlich eine riesige Freifläche, auf der du dir dein Nest bauen kannst und dich auch jederzeit fortbewegen kannst. Es würden dich ein paar Wissenschaftler untersuchen und als Entschädigung für dich werde ich Leute schicken, welche eine zweite Sensation wie dich suchen würden. Und wenn wir etwas fänden, würde es selbstverständlich genauso gut behandelt werden, wie du.’’

Der Drache war erstaunt. Er brachte kein Wort mehr heraus. Der Mann fragte nur noch: ,,Was hältst du davon?’’

,,Und wo soll ich während des Umbaus wohnen?’’, fragte der Drache. ,,Ich werde dafür sorgen, dass du dein eigenes Territorium bekommst, bis die Bauarbeiten fertig sind.’’ ,,Toll!’’, strahlte der Drache, ,,So machen wir’s!’’

Nach 2 Monaten kam der Mann in das Ersatz-Zuhause des Drachen und sagte: ,,Die Vorarbeiten sind fertig, in weniger als 4 Monaten kannst du dein neues, riesiges Territorium bewohnen.’’ ,,Toll!’’, freute sich der Drache, ,,Ich kann es kaum erwarten, mein neues Zuhause sehen zu können!’’ ,,Ich habe schon Leute geschickt, die nach etwas ähnlichem wie dir suchen.’’, sagte der Mann und verschwand. Als es endlich soweit war, durfte der Drache sofort sein neues Territorium betreten. Es war riesig, hügelig, steinig und bewachsen. Perfekt für einen Drachen, wie er fand. 2 Tage später fand die feierliche Eröffnung statt. Die Menschen waren nett zu ihm. Noch einzigartiger an ihm fanden sie, dass er sprechen konnte. Jeder sprach ihn an und anstatt ihn einzusperren oder zu töten, wie er gedacht hatte, gaben sie ihm alles, was er wollte. Sie schenkten ihm ihr Beisein und er bekam ihre volle Aufmerksamkeit. Es war schöner, besser, belebter, als wenn er einsam war – wie vorher…

Er genoss es, endlich Gesellschaft zu haben, denn er wusste genau, wie es war allein zu sein und niemanden zum Spielen oder zum Reden zu haben. ,,Jetzt sind die Menschen meine Freunde – doch als meine Artgenossen kann ich sie nicht bezeichnen. Es gibt wohl doch keine Drachen mehr auf der Welt.’’, dachte der Drache. Es hätte ihn sehr gefreut, einen Freund seiner Art zu haben. Und wie, als hätte das Schicksal seine Gedanken gelesen, kam der Mann in die Höhle geplatzt und rief: ,,Wir haben eine Entdeckung! Unglaublich! Wir haben etwas gefunden!!!’’ Der Drache wusste sofort, was der Mann gemeint hatte. Einen Drachen!